Der „leider-nicht“-Kandidat

An diesem 12. Februar 2017 hat die Bundesversammlung Dr. Frank-Walter Steinmeier zum 12. Bundespräsidenten gewählt. Die klare Mehrheit (74,3%) – mit letztlich doch überraschend zahlreichen Enthaltungen – war abzusehen, und am Ergebnis der Wahl gibt es nichts zu mäkeln. Seine „Habt Mut!“-Rede nach seiner Wahl ist Steinmeiers Signal für die ganze Nation.

Wesentlich mehr als dieses erste Statement des neuen Bundespräsidenten hat mich freilich die Ansprache fasziniert, die Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert zur Eröffnung der Bundesversammlung gehalten hat. Wer zudem seine Rede vom 3. Oktober 2016 in der Dresdner Semperoper in Erinnerung hat, empfindet vielleicht wie ich eine gewisse Enttäuschung darüber, warum dieser hochverdiente Politiker, exzellente Redner und souveräne Manager des deutschen Parlaments (und damit auch der Interessen unseres Landes) nicht als Kandidat angetreten ist oder schließlich doch noch zur Kandidatur überredet werden konnte (Andeutungen von Unionspolitikern lassen erkennen, dass dies bei ressentimentfreier Vorgehensweise durchaus möglich gewesen wäre). Seit geraumer Zeit fühle ich mich bei Lammerts Reden an Richard von Weizsäcker erinnert, z.B. an dessen historische Rede vom 8. Mai 1985. Es ist tröstlich zu wissen, dass unsere Demokratie über solche Koryphäen verfügt – und umso bedauerlicher scheint mir die Tatsache, das der protokollarisch zweite Mann im Staat nicht zum ersten geworden ist.

Die historisch kenntnisreiche Darstellung von Zusammenhängen und das feinsinnig-elegante Plädoyer für die Vorteile der repräsentativen Demokratie – auch bei der Wahl des Staatsoberhauptes – waren eine politische Lehrstunde und ein weiteres Beispiel staatsmännischer Weitsicht. Die Tatsache, dass er während seiner Rede von einzelnen Gruppierungen der Bundesversammlung keinen Applaus erhielt, vergrößert das ohnehin schon großformatige Ansehen des amtierenden Bundestagspräsidenten mit dem nicht korrumpierbaren Mut zur klaren Kante. Auch seine Antwort im ARD-Interview, während des laufenden Wahlgangs auf das Faktum der Nichtzustimmung einzelner Mitglieder der Bundesversammlung angesprochen, war die eines überzeugten Demokraten, der die Spielregeln dieser Staatsform kennt und verteidigt.

Die in diplomatischer Rhetorik verpackten Signale an alle Populisten jenseits und diesseits des Atlantik sollten denen in den Ohren klingen, die damit gemeint waren. Wenn Norbert Lammert zu Ende dieser Legislaturperiode auf ein weiteres Mandat verzichtet, wird unserem Parlament eine große Persönlichkeit fehlen.

Ohne meine staatsbürgerliche Loyalität gegenüber dem künftigen Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier in Abrede zu stellen, bleibt mir nach der heutigen Bundesversammlung ein „Schade!“ im Hals stecken. Unter den großen Politikern seiner Generation (Jahrgang 1948) ist Dr. Norbert Lammert einer von den ganz Großen. Unser Land hätte ihn noch – dringend! – gebraucht!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert