Am Abgrund eines Schismas?

“… hancque sententiam ab omnibus Ecclesiae fidelibus esse definitive tenendam.”

Mit dieser Formulierung, die Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ vom 22. Mai 1994 gebraucht hat, setzte er einen „definitiven“ Schlussstrich unter die Diskussion der Frauenordination in der katholischen Kirche. Sein Schreiben hat zwar nicht den Charakter eines unfehlbaren Dogmas, bindet jedoch durch das Format des „allgemeinen Lehramts“, für das sich der Papst in der anstehenden Frage das einstimmige Votum der Bischofskonferenzen eingeholt hatte. Der jetzige Papst bezieht sich ausdrücklich auf die Entscheidung seines Vor-Vorgängers.

Schon damals, mit besonderer Empörung jedoch in unseren Tagen, weigern sich unter dem Vorzeichen der Aktion „Maria 2.0“ zahlreiche Mitglieder der katholischen Kirche in unserem Land, diese „endgültige“ Festlegung anzuerkennen. Nicht zuletzt bedingt durch den massiven Vertrauensverlust, den die Kirche durch die Missbrauchsskandale hat hinnehmen müssen, erscheint die Priesterweihe von Frauen und eine gleichzeitige Abschaffung des Junktims „Weihe-Zölibat“ als Rettungsanker einer gleichsam von Gott und der Welt verlassenen Kirche.

Die nüchterne Logik des Konflikts zeigt, dass offenkundig ein „point of no return“ erreicht ist. Die zahlreichen Befürworter einer Kirchenreform werden sich, in Ablehnung jenes päpstlichen „Diktats“, weder intellektuell noch emotional von einem Kurs abbringen lassen, der geradezu zwangsläufig in einem Schisma enden wird. Der einwöchige Streik gegen eine männerdominierte Kirche, der unter anderem darin besteht, keine Kirche zu betreten, dürfte in naheliegender Konsequenz bei nicht wenigen dazu führen, aus der römisch-katholischen Kirche ganz auszutreten. Erleben wir angesichts des theologisch und praktisch nicht lösbaren Konflikts die Ausgründung einer „neukatholischen“ Kirche, in der dann die Reformforderungen umgesetzt werden?

Verständigungslinien sind nicht erkennbar. Die Reduzierung der Frauenordination auf einen Diakonat der Frau lässt sich angesichts der theologischen Definition des Weiheamtes schwerlich begründen, würde einen faulen Kompromiss darstellen.

Am 12. Mai 2019 wurden im Freiburger Münster sechs Männer zu Priestern geweiht. Im Unterschied zu früheren vergleichbaren Anlässen wurde nach der Weiheliturgie die feierliche Prozession der Neugeweihten nicht vom freudigen Applaus des Volkes Gottes begleitet, sondern von einer mehrhundertfachen Phalanx der Protestbewegung „Maria 2.0“ gesäumt, die in ständiger Wiederholung den „Wenn einer alleine träumt …“-Kanon auf Basis des Zitats von Dom Helder Camara zu Gehör brachte. „Habt keine Angst vor den Frauen!“ war auf einem Plakat zu lesen. Hat die „Männerkirche“ Angst vor den Frauen?

Der einwöchige Kirchenstreik bezieht sich auch auf die sonntägliche Eucharistiefeier – alternative Wortgottesdienste außerhalb der Kirchenräume werden gefeiert. So wird die Aktion gewissermaßen auch zum Eucharistiestreik: einzelne Mitfeiernde der Freiburger Weiheliturgie traten zwar zu den Orten, an denen die Kommunion ausgeteilt wurde, lehnten dort aber den Empfang der Hostie ab. Wird das Sakrament der Einheit als vermeintliches Machtinstrument des männlichen Klerus interpretiert?

Solche Szenarien zeigen an, wie tief die Gräben, wie hochemotional die Verwerfungen sind. Mag sein, dass manche in persönlicher Inkonsequenz vor einem letzten Schritt des Bruches zurückschrecken, verbunden mit einem weiteren Rückzug in die verbitterte Resignation. Andere aber, die sich schon sehr weit vorgewagt haben, werden zur Vermeidung des Gesichtsverlustes und in Wahrung ihrer Selbstachtung zu neuen Ufern aufbrechen.

Einer der Neugeweihten stammt aus Togo und repräsentierte – zusammen mit anderen Gottesdienstteilnehmern aus Afrika, Asien und Lateinamerika – jenen Reichtum weltkirchlicher Vielfalt und Einheit, um die andere Konfessionen die römisch-katholische Kirche ob dieses hohen, unschätzbaren Gutes beneiden.

Es wäre in der Kirchengeschichte nicht das erste Mal, das Christen nördlich der Alpen auf diese Einheit verzichten und eigene Wege gehen.

Wolfgang Sauer
13. Mai 2019