Mit der parlamentarischen Mehrheit des Deutschen Bundestages ist die Ehe für Paare gleichen Geschlechts gesellschaftlich sanktionierte Realität geworden. Die Entscheidung wird als Sternstunde der Demokratie gehandelt: „Niemandem wird etwas weggenommen, und viele bekommen etwas geschenkt!“ Man wünscht auch der Steuergesetzgebung solche Erfolge.
Gewissensentscheidungen, in namentlicher Identität, werden üblicherweise mit dem Respekt der Diskretion bedacht. Die variantenreiche Geschäftsordnung des Parlaments hat es ermöglicht, das Abstimmungsverhalten der Parlamentarierinnen und Parlamentarier am Bildschirm ad personam zu identifizieren. Das Bild von Angela Merkel, mit dem roten Stimmchip an der Urne, wird man in der bevorstehenden heißen Phase des Wahlkampfes zur Genüge plakatiert erleben. Es steht zu vermuten, dass die Attraktion einer „Kanzlerin neben dem Papst“ geringere Wirkung zeigt.
Die der Abstimmung vorausgehende Debatte war von Ernsthaftigkeit und gegenseitigem Respekt gekennzeichnet – gemäß der Vorgabe des scheidenden Präsidenten. Verbale Fehlgriffe wie das peinliche Bild von der Sturzgeburt oder dem schäbigen Schabowski-Vergleich waren die Ausnahme. Es war jedoch von vorneherein klar, dass die vorgetragenen Argumente keine Meinungsänderung mehr herbeiführen würden. Die dem Wahlkampf geschuldete Instrumentalisierung des Themas war prädominant. Die Konfetti-Bombe lag längst bereit, auch die regenbogen-farbene Hochzeitstorte („Ehe für alle!“) wartete darauf, endlich angeschnitten zu werden. Ein letztes Mal gelang es dem Bundestagspräsidenten, exzessives, dem hohen Hause unwürdiges und „albernes“ Verhalten zu disziplinieren. Aber die Gesellschaft und die Demokratie entwickeln sich weiter, ebenso wie die zeitgeistbezogene – in juristischer Hermeneutik „dem gesellschaftlichen Wandel geschuldete“ – Interpretation des Grundgesetzes. Bei der nächsten Wahl eines Bundespräsidenten könnten Luftballons zu den Blumengebinden dazukommen.
Sozusagen termingerecht ist das Theologoumenon von der „Ehe als einem weltlichen Ding“ im Bürgerlichen Gesetzbuch angekommen und zum nicht länger hinterfragten Prinzip liebender Gemeinschaft geworden: ein längst fälliges Stück Normalität in einer liberalen und permissiven Gesellschaft. Nicht wenige werden erleichtert sein, dass die Ewig-Gestrigen mit ihren abstrusen Moralvorstellungen und verschrobenen Sittengemälden endgültig abzudanken haben: die letzte Bastion der unseligen Diskriminierungen ist gefallen. Das Grundgesetz, ja sogar die Nationalhymne!, seien in ihrem eigentlichen Wesen angekommen: Einigkeit und Recht und Freiheit! Der Titel „Amoris laetitia“ könnte – von seinem Autor nicht unbedingt intendiert – zum Wahlkampfsmotto werden und auch die letzten Realitätsverweigerer überzeugen.
Apropos: wie schon in früheren Fällen dürfen wir den Erkenntniszuwachs der Kanzlerin konstatieren, die ihre dereinst noch gewissensbegründete Zurückhaltung beim Thema „Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare“ aufgegeben hat. Dies war – man erinnere sich – der noch verbliebene Unterschied zwischen der eingetragenen Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Partnerinnen oder Partner und der ehedem heterosexuellen Paaren vorbehaltenen Ehe. Warum die zur erweiterten Erkenntnis gelangte Regierungschefin dennoch mit „rot“, also nicht „rot-rot-grün“, stimmte, mag ihr persönliches Geheimnis bleiben. Wäre es aus Taktik gegenüber dem konservativen Lager geschehen, könnte man sich durchaus überzeugendere Strategien vorstellen. Geschah es mit einem emotionalen Respekt vor dem Grundgesetz, war dies achtbar und doch politisch wenig konsequent. Eben ein entschiedenes Jein.
Eine international aufgestellte Glaubensgemeinschaft wird nationale Entscheidungen respektieren, auch entsprechend in Relation stellen. Sie wird, der weisen Einsicht ihrer Päpste folgend, auch weiterhin den Menschen als den Weg der Kirche in den Mittelpunkt stellen, an die Ränder gehen und in der Mitte ihres Credos bleiben. Dass „Ehe“ hierzulande ein analoger Begriff geworden ist, braucht sie nicht stören. Sie wird, ihrer Sendung entsprechend, den „weltlichen Dingen“ Gottes Segen zusprechen.
Daran werden Sternstunden nichts ändern: on est là pour tous!