Gedanken zur Inaugural Speech vom 20. Januar 2017
Viele – zu denen auch ich mich zählte – hatten gehofft, dass der President Elect mit dem Augenblick seiner Vereidigung seinen egomanen Wahlkampfmodus endlich beenden würde. In Anwesenheit seiner Amtsvorgänger und der politischen Elite des Landes sollte durch die Würde des übernommenen Amtes und unter dem Versprechen der Versöhnung einer gespaltenen Nation ein neuer Anfang gesetzt werden.
Alle, die solches erwarteten, wurden eines Schlechteren belehrt. Der auf gleich zwei Bibeln, der einst von Abraham Lincoln benutzten und einer Familienbibel, geschworene Eid geriet im theatralischen Bibelpack fast schon zur Blasphemie. „The Bible tells us how good and pleasant it is when God’s people live together in unity“ – die Eingrenzung des Begriffs „Gottes Volk” auf eine einzelne Nation ist ein Sakrileg.
Die brutale, feindselig-zynische Abrechnung mit der „small group in our nation‘s capital“ raubte der Zeremonie jene Erhabenheit, die man von früheren Amtseinführungen kannte und auch bewunderte. Hier versuchte einer, sich in quasi-messianischem Furor zum Heilsbringer einer Zeitenwende zu stilisieren. Wer in die versteinerten Gesichter von Hillary Clinton und vor allem von Barack Obama schaute, empfand nicht nur Mitleid, sondern Abscheu vor dieser aggressiv inszenierten und geschichtsvergessenen Abkanzelung. – Was mögen die Obamas im Hubschrauber gesprochen haben, der sie vom Ort des Schreckens in den Urlaub transportierte?!
„America first“. Gemeint ist offenkundig, in einer geographischen Selbstbornierung, ein nur auf die USA reduzierter Doppelkontinent. Einmal neu wird der lateinamerikanische Süden ausgeblendet, eben jener seit Beginn des 20. Jahrhunderts so geschmähte „Hinterhof der USA“. Wenn der neue Präsident der USA den mit großformatiger Historie gefüllten Begriff „Amerika“ mit seinem Land gleichsetzt, ist das pure Arroganz der Macht, wenn nicht gar Rassismus. Dies ist nicht das wahre Gesicht der verdienstvollen Nation der Vereinigten Staaten!
Der Atem musste dem theologisch interessierten Zuhörer bei folgenden Worten stocken: „We will be protected by the great men and women of our military and law enforcement and, most importantly, we will be protected by God.” Wieder einmal beruft sich einer auf den Schutz Gottes (in anderem Zusammenhang hieß das einmal „die Vorsehung”), in einem (!) Atemzug genannt mit Militär und Polizei. Auch wenn man mit der weisen Milde des „alten Kontinents Europa“ manche skurrilen Auswüchse nordamerikanischer Frömmigkeit akzeptiert, ist diese Vereinnahmung Gottes vor dem Hintergrund einer aufgeklärten, demokratisch entwickelten und gebildeten, Nation doch singulär. Solchen religiösen Fundamentalismus kannte man bisher nur von selbsternannten oder ins Amt geputschten Despoten dieser Welt. Wo ist hier – fragt man bedrückt – der essentielle Unterschied zu jenem vereinnahmenden „Alahu Akbar“, das wir aus dunkelsten Kontexten kennen?
Wer das Interview mit dem deutschen Vizekanzler und Wirtschaftsminister gesehen hat, das dieser im Eindruck der eben erst gehaltenen Rede des neuen US-Präsidenten gab, musste hinter den – vermutlich unter Aufbietung äußerster diplomatischer Rücksichtnahme gegebenen – Antworten das blanke Entsetzen wahrnehmen.
„In God we trust“, heißt es in der us-amerikanischen Nationalhymne, die von der 16-jährigen Jackie Ivancho hingebungsvoll-bravourös vorgetragen wurde – vermutlich die schönste Szene der Inauguration. Ihren Entschluss, bei der Amtseinführung zu singen, begründete Evancho in einem Interview, sie würde es aus Patriotismus tun, „für mein Land“.
Im konkreten Kontext provoziert das Bittgebet „God bless America“ jetzt einen globalen Klageruf „Lord, have mercy on us!“
München, 21.01.2017