Anmerkungen zu den „Empfehlungen“ der Freiburger GE-Kommission
von Wolfgang Sauer, 10.05.2024
(Fußnoten befinden sich am Ende des Textes)
Vorbemerkung
Mit Datum vom 18. März 2024 hat die „GE-Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg“ ein Dokument veröffentlicht, in dem die fünf unterzeichnenden Mitglieder auf Basis einer Auswertung des am 11. April 2023 in der Katholischen Akademie Freiburg vorgelegten Abschlussberichts der Arbeitsgruppe „Machtstrukturen und Aktenanalyse“ weitere Schritte der Aufarbeitung, der Analyse systembedingter Gründe sowie präventive Empfehlungen vortragen. – Die genannte Publikation fand ein breites mediales Echo, in welchem vor allem die Kritik an den Machtstrukturen in der katholischen Kirche hervorgehoben wurde.
Mit meinen im Folgenden vorgetragenen Anmerkungen versuche ich eine kritische Relecture des besagten Dokuments (im folgenden „KE“) und beziehe mich dabei auf meine persönlichen Erfahrungen nach mehr als 50 Jahren priesterlicher Tätigkeit, in durchaus relevanten Kontexten. – Vor diesem Hintergrund sehe ich mich berechtigt und verpflichtet, die Darlegungen der Kommission mit eigenen Beobachtungen und Erfahrungen zu kontrastieren: dies erfolgt „mea sponte“, also ohne externe Beauftragung, Absprache oder Legitimation. Dabei verstehe ich meine Intervention nicht als Gegenrede, zumal ich eine ganze Reihe der angestellten Analysen zustimmend nachvollziehen kann. Gleichwohl scheint mir der Einspruch aus der Binnensicht eines Mitglieds der –seitens der GE-Kommission massiv problematisierten– Berufsgruppe „Priester“ angezeigt. Die in einer „Experten“-Kommission offenbar nicht vorgesehene Einbeziehung originärer und authentischer priesterlicher Berufserfahrung statuiere ich – bei allem Respekt vor der Expertise der Fachleute aus den in der Kommission vertretenen Disziplinen bzw. der schwerwiegenden Leiderfahrung eines Missbrauchsopfers – als strukturelles Defizit. Dies zu verifizieren ist die Intention des nachfolgenden Statements. Ich folge damit der Reihenfolge der Gliederung des veröffentlichten Dokuments, wobei ich die Kapitel „2. Unterstützungsmaßnahmen für Betroffene“, „6. Personalkommission“ und „7. Aktenführung“ aus Gründen nicht gegebener Zuständigkeit außer Acht lasse.
- Zum Kapitel „Einführung“ (Absätze 1-10 der „Empfehlungen“)
- Zum Kapitel „1. Kulturwandel“ (Absätze 11-28 der „Empfehlungen“)
- Zum Kapitel „3 Ausbildung von künftigem Priesterpersonal“ (Absätze 48-65 der „Empfehlungen“)
- Zum Kapitel „4. Nachfolgende Begleitung“ (Absätze 66-72 der „Empfehlungen“)
- Zum Kapitel „5. Unabhängigkeit der Person für Interventionen“ (Absätze 73-76 der „Empfehlungen“)
- Zum Kapitel „8. Engagement für ein zentrales interdiözesanes Gericht“ (Absätze 82-83 der „Empfehlungen“)
- Zum Kapitel „9. Bystander-Problematik“ (Absätze 84-88 der „Empfehlungen“)
- Zum Kapitel „10. Theologische Umdenkprozesse gestalten“ (Absätze 89-91 der „Empfehlungen“
- „Zum Kapitel „11. Prävention“ (Absätze 92-95 der „Empfehlungen“)
Kapitel „Einführung“ (Absätze 1-10 KE)
Eine aus bischöflichem Mund durchaus bemerkenswerte Feststellung von Heiner Wilmer (Hildesheim) („Ich glaube, der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche“, 14.12.2018) wurde zu einem Narrativ im Kontext zahlreicher bisher vorgelegter Analysen und Berichte. – Zur Erinnerung: anlässlich seiner Begegnung mit den Medienvertretern am 16. März 20213, wenige Tage nach seiner Wahl, hatte Papst Franziskus ausdrücklich auf die Kirche als einer menschlichen und geschichtlichen Institution verwiesen und damit die Lehre des Konzils von der „realitas complexa“ (Lumen gentium 8) aufgegriffen.
Wenn man mit dem heutigen Wissen um die Verbrechen im Raum der katholischen Kirche die Vergebungsbitten Johannes Pauls II. vom 12. März 2000 liest, muss einen die Nichterwähnung des schon damals zweifelllos bekannten Missbrauchsgeschehens mit Scham erfüllen. So gesehen insistiert die Kommission mit gewissem Recht auf „systemischen Ursachen“, die in der Kirche als einer aus Menschen (mit all ihren Abgründen!) bestehenden Institution dominant werden können und geworden sind. Missbrauchte Macht, die zur unmenschlichen Gewalt pervertiert, macht vor geweihten Amtsträgern nicht Halt. Einigermaßen desillusionierend stellt P. Hans Zollner SJ, ein auch und gerade außerhalb der Kirche international anerkannter Experte, fest, dass es Missbrauch gibt, seit es Menschen gibt, und auch weiterhin geben wird, trotz aller Maßnahmen der Prävention. Seine Feststellung „Der Mensch ist ein aggressives Tier“ belegt, dass auch Tore der Kirche zu Pforten der Hölle werden können.
Die Kommission sieht die Ursachen solcher Perversion in den Strukturen eines hierarchisch-autokratisch verfassten und auf abhängigen Gehorsams fixierten Systems. Bereits im öffentlichen Vortrag des Berichts der genannten „Arbeitsgruppe“ (am 18.4.2023) meinte der Referent feststellen zu müssen, dass etwa während der Priesterweihe die Spuren eines entpersonalisierenden (Kadaver-)Gehorsams erkennbar wären, wenn z.B. die Kandidaten auf dem Boden ausgestreckt vor dem Bischof liegen müssten. – Als ich im Nachgang schriftlich darauf aufmerksam machte, dass die beobachtete „Prostratio“ ein Zeichen der Hingabe an Gott seien, und der Bischof dabei nicht etwa herrschaftlich über seinen Lakaien thronte, sondern, ebenfalls zum Altar gewandt, die Allerheiligenlitanei der Gemeinde mitbetete, wurde meine korrigierende Intervention mit der Antwort beschieden, dass die Arbeitsgruppe ihre Arbeit erledigt hätte und für weitere Diskussionen nicht mehr zur Verfügung stünde.
Ich habe den Eindruck, dass in KE das Gehorsamsversprechen der Weihehandlung nicht in seinem ekklesialen Charakter auf Gegenseitigkeit verstanden, sondern ausschließlich als Indiz für eine servile Abhängigkeit interpretiert wird. Jedoch gilt: mit der Entgegennahme des Gehorsamsversprechens verpflichtet sich der weihende Bischof seinerseits zu einem transparenten und vom Maßstab des Evangeliums geleiteten Verhalten gegenüber den neuen Mitbrüdern.
Dass ein solches Verhalten der Wahrhaftigkeit und reziproken Verantwortung in bekannt gewordenen Fällen missachtet oder verweigert wurde, hat prioritär nicht „systemische“ Ursachen, sondern stellt einen schwerwiegenden Charakterfehler sowie den Erweis individuell-schuldhaften Handelns seitens kirchlicher Obrigkeit dar. „Opfer des Systems“ geworden zu sein wäre eine allzu billige Entschuldigung für moralisches Versagen – im Einzelfall durchaus als Folge eines aus der betreffenden Biographie erklärbaren Psychogramms.
Vor diesem Hintergrund bezweifle ich die apodiktische Feststellung in KE „Systeme, die einerseits keine offene Fehlerkultur oder Kultur der eigenen Hinterfragung kennen und die andererseits autoritär Gehorsam verlangen und streng hierarchisch organisiert sind, sind eher gefährdet, Orte für Misshandlung und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Minderjährige zu sein“ (KE4).
Die Folgerung „Mit Rücksicht darauf kann die GE-Kommission nicht umhin, festzustellen, dass die Kirche kein sicherer Ort für Minderjährige bezogen auf Priester werden kann, solange diese missbrauchsbegünstigenden systemischen Faktoren wirksam bleiben“ lese ich als Fundamentalkritik mit ultimativem Unterton. Die Autorinnen und Autoren von KE bekunden ihre tiefgehende Skepsis und Abneigung gegenüber dem „System Kirche“, in dem eine aus der Zeit gefallene Sexualmoral, der priesterliche Zölibat und die Nichtzulassung von Frauen zu den Weiheämtern als hochgradige „Risikofaktoren“ wirksam seien. „Es ist daher zu fragen, ob die faktische, mit der Weihe assoziierte moralische Erhöhung von Priestern und die Selbstattestierung einer sakralen Aura durch Priester dazu führen, dass auf der mentalen Ebene ein schuldfreier Raum erzeugt wird, in dem die Einsicht in kriminelles Tun und entsprechende Folgehandlungen auf Bistumsebene nicht mehr zur Realität gehören. Diese, mit der Weihe verbundenen spezifischen katholischen Risikofaktoren müssen –neben den allgemeinen – von den Bistumsverantwortlichen zur Kenntnis genommen und daraus Konsequenzen gezogen werden. Andernfalls wäre eine ortskirchliche wie jede andere innerkirchliche GE-Kommission überflüssig, sodass man sich in der Konsequenz auf die allgemeinen Regelungen zu Schutzkonzepten beschränken könnte“ (KE10). Der in solcher Formulierung zum Ausdruck kommende selbstreferentiell-beleidigte Unterton sollte m.E. in einer professoralen Expertise keinen Platz haben.
Die ins Feld geführte „Selbstattestierung einer sakralen Aura“ des Priesters als einer unantastbaren und nicht hinterfragbaren Sakralgestalt erscheint mir weder intentional noch faktisch gegeben und bekundet eine hochgradig negative Einschätzung seitens der KE. Der priesterliche Zölibat generiert nicht eo ipso eine archaische „Auratisierung“, vielmehr – zumindest tendenziell – eine der unmittelbaren Sozialkontrolle entzogene Lebensweise. Darin besteht m.E. die spezifische Herausforderung.
Kapitel „1. Kulturwandel“ (Absätze 11-28 KE)
Der von KE urgierte „Kulturwandel“ geht davon aus, dass es auf der Leitungsebene der Erzdiözese Freiburg sehr wohl ein umfängliches Wissen um Missbrauchsverfehlungen von Priestern gab, welches jedoch in einer Kultur des Gehorsams und Verschwiegenheit unterdrückt wurde, beides bedingt durch die hierarchische Verfasstheit des kirchlichen Systems. Vor dem Hintergrund einer eindimensional fixierten Sexualmoral würde das Verbrechen des Missbrauchs ausschließlich als „contra sextum“ definiert und so einem weiter gefassten Bereich der persönlichen Verantwortung entzogen. „Es gab (und gibt) nicht nur eine Kultur des Verschweigens, sondern auch die Verweigerung einer von Selbstinitiative getragenen, bezogen auf persönliche Hinsichten risikobelasteten Verantwortungsübernahme. Sehr offensichtlich haben in der Hierarchie untergeordnete Personen gemeint, sie müssten sich dem von oben organisierten Umgang mit sexuellem Missbrauch beugen, weil den Erzbischöfen von Freiburg aufgrund ihres Amtes legitimierweise eine autoritäre Entscheidungskompetenz zukomme. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Selbstverständnis innerhalb des Klerus, einen ‚Dienst‘ auszuüben, zur Verschleierung dessen geführt hat, dass, wie in jedem anderen sozialen System auch, in der Kirche Macht ausgeübt wird und dies über den Gebrauch des Begriffs Dienst bzw. Dienstgemeinschaft invisibilisiert wird. Dasselbe gilt für den Gebrauch des Begriffs Autorität in der Kirche. Autorität existiert in einer sozialwissenschaftlichen Sicht allerdings nicht, sofern sie nicht zugeschrieben wird. Offensichtlich wurde Bischöfen selbst dann noch eine Autorität zugeschrieben, der Gehorsam zu leisten sei, als längst bekannt war, dass sie sexuellen Missbrauch vertuschten und Täter schützten.“ (KE17). Konstatiert wird eine systemische Diastase zwischen Gehorsam gegenüber der Autorität einerseits und dem Aufstand des Gewissens in Einsicht um persönliche Verantwortung andererseits. „Die GE-Kommission zeigt sich nachhaltig davon irritiert, dass es auf der Leitungsebene nie zu einem entschiedenen, sichtbaren, notfalls auch die Öffentlichkeit suchenden Widerstand in Bezug auf den Umgang der laut AG Aktenanalyse verantwortlich handelnden Personen mit sexuellem Missbrauch kam. Dieser Befund wiegt umso schwerer, als es zum Kern christlicher Ethik gehört, gerade für die Schwächsten und Bedrohten freimütig die Stimme zu erheben. Evident wurde in der Vergangenheit, dass eine Kultur gepflegt wurde, die nur das System Amtskirche im Blick hatte und sich abgeschottet hat, auch um mögliche Angriffe abzuwehren, die sich aus sexueller Gewalt von Priestern hätten ergeben können. Umso mehr zeigt sich, dass ein Wandel der Diskussionskultur auf einer breiteren Leitungsebene (wie Metropolitankapitel und Ordinariatskonferenz), der auch Einfluss und Wirkung auf den jeweils Letztverantwortlichen zu jeder Zeit haben kann, stattfinden muss“ (KE21). Der letztgenannten Forderung nach einem „Wandel der Diskussionskultur“ ist zuzustimmen, desgleichen der Aufforderung an die jeweils Verantwortlichen, eine entstandene „Klerikalkultur“ zu hinterfragen und sich kontinuierlichen Prozessen der Selbstreflexion zu unterziehen. Aus unmittelbarer Einsicht und Sachkenntnis muss ich jedoch die Unterstellung zurückweisen, dass es auf Leitungsebene unter Hintanstellung der Maßstäbe christlicher Ethik nie (!) zu einem Widerstand gegenüber handelnden Personen kam. Diese Entgegnung ließe sich z.B. durch Einsicht in das ausführliche Protokoll meiner Zeugenbefragung (am 22.01.2020) umfänglich überprüfen. Seinerzeit wurden meine Hinweise als maßgebliche Zeugnisse internen Widerstands gewertet und zu den Akten genommen. Auf eine entsprechende Einladung würde ich mich dem (vgl. KE27) geforderten Prozess bezüglich einer „Kultur des Schweigens und der Inaktivität“ ohne Vorbehalte stellen.
Kapitel „3. Ausbildung von künftigem Priesterpersonal“ (Absätze 48-65 KE)
„Die GE-Kommission schließt zwar auch nicht aus, dass es immer Männer geben wird, die ein durchaus zufriedenes Leben als ehelose Priester führen. Zudem betont sie, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Zölibat(sverpflichtung) und Missbrauch gibt“ (KE57). Dieser vermeintlich wohlwollenden Feststellung lässt KE die Aussage folgen, dass die verpflichtende zölibatäre Lebensform dennoch einen „spezifisch katholischen Risikofaktor“ darstelle. Diese Behauptung wird eingebettet in eine Pauschalkritik der bis dato praktizierten Priesterausbildung, in der das Thema Sexualität tabuisiert und zugleich quasi augenzwinkernd toleriert werde, dass „es unter Priestern eine erhebliche Anzahl von Personen geben dürfte, die einvernehmliche Partnerschaften leben“. Das Wissen, dass der Zölibatspflicht nur begrenzt entsprochen wird, sei in den Priesterseminaren wahrscheinlich bekannt. Schlussfolgernd könne man sagen, dass der so genannte Pflichtzölibat, begründet mit einer nicht haltbaren spiritualisierenden Begründung („Christusfreundschaft“) Teil eines Unterdrückungssystems sei, welches in Konsequenz mit dem Droh-Instrument von Berufsverboten operiere und sexuell unreife Personen in eine Lebensentscheidung dränge („lockt“), von deren Konsequenzen sie mangels alternativer Erfahrung keine Vorstellung haben könnten. „Die GE-Kommission meldet erhebliche Zweifel daran an, ob Fragen von Beziehung und Sexualität vor diesem Hintergrund tatsächlich so offen im Rahmen der Priesterausbildung thematisiert werden können (in Gruppengesprächen, im Forum internum des Spirituals), wie dies in den entsprechenden Gesprächen der GE-Kommission mit Verantwortlichen suggeriert worden ist. Es ist schwerlich vorstellbar, dass, wenn Offenheit unter der Drohung eines „Berufsverbots“ steht, ein Mensch – zumal ein Adoleszenter – sich offen über seine Sexualität, sexuelle Orientierung oder seine Probleme mit der Sexualität oder auch dem Zölibat äußert. Damit wird einer wirklichen Auseinandersetzung aus Sicht der GE-Kommission die Grundlage für eine offene und in dieser Entwicklungsphase unbedingt notwendige Möglichkeit des Explorierens der eigenen Persönlichkeit auch im Bereich der Sexualität entzogen. Es verhindert überdies, aus Kinderschutzaspekten wirklich problematische Präferenzkonstellationen (wie pädosexuelle Präferenzen) zu identifizieren, die eine Eignung für den Beruf ausschließen“ (KE54). Die Fokussierung auf den Risikofaktor Pädosexualität entspricht zweifellos dem Arbeitsauftrag der Kommission. Zugleich beeindruckt jedoch, wie ein Personenkreis, der das Leben im Priesterseminar zu keinem Zeitpunkt unmittelbar durchlaufen haben dürfte, zu vermeintlich erkenntnisgenerierten Empfehlungen in diesem Bereich gelangt. – Die Zeit meiner eigenen Seminarerziehung (1966-1971) sowie meiner Zuständigkeit in der Priesterausbildung (1976-1985) liegt weit zurück. Aber bereits für diese früheren Zeiträume kann ich durch Aufzeichnungen zu meinen Spiritualsgesprächen und Exerzitienkursen nachweisen, dass das Thema Sexualität bzw. die Herausforderung der zölibatären Lebensform in extenso vorgestellt und freimütig diskutiert wurden. Humanwissenschaftliche Vorlesungen und Beratungen durch externe Fachleute aus dem Bereich der Psychologie und Anthropologie wurden in den „Ferienkursen“ bereits nach dem ersten Studienjahr durchgeführt, mit der nicht verwunderlichen Konsequenz, dass einzelne Seminaristen allein schon durch jene „konfrontierenden“ Impulse zu der Einsicht kamen, dass das „Berufsziel Priester“ nicht ihr Lebensinhalt werden könne. Auch wenn entsprechende Gespräche in den Bereich des „forum internum“ fallen, wüsste ich eine Reihe von Personen zu benennen, die ich auf dem Weg ihrer Entscheidung gegen den Priesterberuf und das damit verbundene zölibatäre Leben konstruktiv und in befreiender Atmosphäre begleitet habe. – Dies gilt übrigens auch für Priester, die nach Ihrer Weihe den Beruf aufgegeben haben: in vielen Fällen bedingt durch Lebensereignisse, die das zölibatäre Leben für sie nicht weiterhin möglich erscheinen ließen. Viele dieser ehemaligen Priester konnten für sich mit aktiver Unterstützung des Bistums neue Berufsfelder entdecken, in denen sie zusammen mit ihren Familien eine erfolgreiche und glückliche Existenz aufbauten. Ein bisweilen vermuteter „Absturz“ in prekäre Situationen ist mir nicht bekannt.
Von tabuisierendem Umgang mit dem Thema Sexualität (Homosexualität inbegriffen) und einem latenten, in Existenzangst begründetem, Berufszwang kann nicht die Rede sein. Dies zu behaupten, wäre eine monströse Unterstellung und machte ausfolgernde Expertisen fragwürdig. Da das Problem pädosexueller Kriminalität in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch gesamtgesellschaftlich kein Thema war, kam es in der Ausbildung der Priesteramtskandidaten in der Tat nicht vor. Mir ist allerdings, nach der intensiven Lektüre des Berichts der „AG Macht und Missbrauch“, kein Fall erkennbar, bei dem Absolventen der damaligen Seminarausbildung unter Anklage kriminellen Missbrauchs straffällig geworden wären. – Dies spricht natürlich nicht gegen eine erhöhte Sensibilisierung für das Missbrauchsphänomen und eine entsprechende Prävention in der Ausbildungsphase. Es wäre jedoch ein kaum haltbares Vorurteil, wenn man den Priesterberuf als Attraktor für Personen mit pädophiler Neigung und hohem pädosexuellen Risikopotential einstufen würde. Die derzeitig praktizierten Methoden der Kandidatenauswahl als „untauglich“ zu desavouieren ist eine kühne Behauptung. Nach meinem unmittelbaren Kenntnisstand reklamiert KE so gesehen ein bereits längst vorhandenes Problembewusstsein.
Kapitel „4. Nachfolgende Begleitung“ (Absätze 66-72 KE)
„Das eigene sexuelle Erleben und Partnerschaftsverlangen können, wie bereits ausgeführt, nach derzeitiger Praxis vor der Weihe nicht abschließend geklärt werden. Die GE-Kommission sieht deutlich die Gefahr, dass diese Bedürfnisse im Verlauf einer Biographie zunächst abgespalten werden, später jedoch – ggf. sogar umso stärker – aufbrechen. Angesichts des Machtgefälles, das in seelsorglichen Beziehungen, zumal bezogen auf Minderjährige, herrscht, existiert hier ein deutliches Risikopotenzial“ (KE66). Von einem „Machtgefälle“ in seelsorgerlichen Beziehungen zu sprechen, setzt eine erklärtermaßen eigenwillige Sicht von Pastoral voraus. Nähme man diese Einschätzung zum Maßstab, müssten z.B. auch Eltern-Kind-Beziehungen als innerfamiliäres Risiko interpretiert werden. Die Vorstellung in KE, dass Priester, wenn sie „nach Fürsorge und Überwachung [sic!]“ aus der Seminarausbildung gleichsam auf die freie Wildbahn ihres Berufslebens entlassen wären, einem durchgängigen psychotherapeutische Coaching überstellt werden sollten, klassifiziert die Möglichkeit sexuellen Fehlverhaltens als permanentes Berufsrisiko. Dass in der „nachfolgenden Begleitung“ in jedem Berufsleben, also auch dem des Priesters, nie genug getan werden kann, steht außer Frage. Solche Begleitung darf aber nicht die Züge investigativer Kontrolle annehmen. Absolut nicht einleuchtend erscheint mir hierbei die „Interventions“-Empfehlung: „Begutachtungen und Therapien von auffällig gewordenen Priestern sollen in staatlich anerkannten Institutionen durch Therapeut:innen erfolgen und nicht durch Priester mit zusätzlichen psychologisch-therapeutischen Ausbildungen“ (KE71). Hier wird mit einer beachtlichen Arroganz unterstellt, dass Priester mit zusätzlich erworbener fachlicher Qualifikation nicht den Maßstäben medizinischer Professionalisierung entsprächen – oder womöglich durch das „vinculum communionis“ in ihrer fachlichen Kompetenz korrumpiert sein könnten. Da die besagte Option gegen die Begleitung durch speziell ausgebildete Priester nicht begründet wird, muss man persönliche Ressentiments vermuten, die in einer GE-Kommission nichts verloren haben sollten.
Kapitel „5. Unabhängigkeit der Person für Interventionen“ (Absätze 73-76 KE)
„Die Befugnisse und dienstrechtliche Sicherheit der Person, die als Referent:in für Intervention arbeitet, gegenüber ihrem Vorgesetzten sind präziser zu fassen, als dies bisher der Fall ist. Der GE-Kommission leuchtet nicht ein, wie eine solche Person unabhängig sein können soll, wenn diese zugleich in einem dienstrechtlichen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber steht. Die Unabhängigkeit darf nicht von der jeweiligen Person des Vorgesetzten, letztlich des Generalvikars, abhängig sein. Allerdings würdigt die GE-Kommission, dass die Interventionsstelle innerhalb der Strukturen des Ordinariats vorgehalten wird“ (KE73). Dieser Verdacht gegen das „System Ordinariat“ sollte unbedingt im Detail begründet werden, um dem Verdacht eines Vorurteils („leuchtet nicht ein“) zu entgehen. Verstärkt wird dieser sinistre Eindruck durch die Aussage „Nach den Erfahrungen des GE-Kommissionsvorsitzenden durchmischen sich in den Schilderungen von Mitarbeitenden im Ordinariat die Eindrücke von Machtmissbrauch („Kultur der Angst“) und schlichter Unzufriedenheit mit dem Arbeitsverhältnis“ (KE74). Aussagen von Mitarbeitenden im Ordinariat sind zweifellos ernst zu nehmen. Ob eine möglicherweise existierende „Kultur der Angst“ im Ordinariat unmittelbar mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker in Verbindung zu bringen ist, stellt eine gewagte These dar, die ebenfalls der Erläuterung bedarf. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir einen Hinweis auf eine in KE wiederholt verwendete Begrifflichkeit. Üblicherweise wird unter „Kultur“ die positive Pflege und Förderung gedeihlichen Wachstums verstanden. Von einer „Kultur der Angst, des Misstrauens, des Verschweigens“ zu sprechen, pervertiert den Begriff „Kultur“ zu einem Negativum par excellence.
Kapitel „8. Engagement für ein zentrales interdiözesanes Gericht“ (Absätze 82-83 KE)
„Wegen der vergleichsweise geringen Anzahl der Straftaten in den einzelnen Diözesen würde eine Konzentration der Behandlung von Fällen bei einem einzigen Strafgericht zu einer Qualitätsverbesserung führen, da sich nur so Routinen einspielen können. Aufgrund der an einem solchen Gericht vorgehaltenen spezifischen Kompetenz könnte die Rechtsprechung vereinheitlicht werden, so dass zudem mehr Transparenz und Rechtssicherheit entsteht. Weiter ergäbe sich durch die Auslagerung aus der Diözese ein höherer Grad an professioneller Distanz, da die Verfahren nicht mehr durch diözesane „Mitbrüder“ durchgeführt würden“ (KE82). Die durchaus nachvollziehbare Empfehlung der Einrichtung eines zentralen interdiözesanen Gerichts wird mit der „vergleichsweise geringen Anzahl der Straftaten“ begründet. Durch diese knappe Feststellung von KE relativiert sich der teilweise alarmierende Impetus des Kommissionsdokuments. Allerdings verrät die Apostrophierung des Begriffs „Mitbrüder“ einmal neu eine durchgängige Verdachtbereitschaft in KE, den Klerus als eine verschworene männerbündische Gruppe zu interpretieren, die sich gegen eine feindselige Außenwelt abschirmt. Diese erkennbar antiklerikale Obsession sollte einer gründlichen Selbstreflexion unterzogen werden.
Kapitel „9. Bystander-Problematik“ (Absätze 84-88 KE)
„Um das Bystanderphänomen ins Bewusstsein zu heben, ist dies Thema zum Gegenstand in den beratenden Gremien des Erzbischofs (Dekanerunde, Priesterrat etc.) und auf den Ebenen der Pfarreien zu machen. Es ist dafür zu sensibilisieren, dass ein Wegschauen in aufkeimenden Verdachtsfällen auf eine Mittäterschaft hinausläuft“ (KE87). Bereits am 11.05.2023 hat der Vorsitzende der GE-Kommission anlässlich einer Podiumsdiskussion („Freiburger Religionsgespräche“) in der Universität das Phänomen der „Bystander“ problematisiert. Er nahm dabei die Mitglieder der Freiburger Ordinariatssitzung in den Blick, die durch Passivität in ihrem Verhalten das System der Vertuschung unterstützten. Denkbar also das Motiv, dass sich Mitglieder auf der Leitungsebene des Bistums auf diese Weise eigene Karrierepläne nicht gefährden oder sich dem Oberhirten gegenüber als willfährige Mitarbeiter erweisen wollten. Dieses Interpretationsmuster ist verbreitet, und der Ruf „Ihr müsst doch etwas gewusst haben!“ ist nachvollziehbar. Es ist in der Tat schwer zu erklären, wie es geschehen konnte, dass ein Kreis von ansonsten reflektierten Mitarbeitern sich über lange Zeit hinter das Licht führen lassen konnte. Dieses Odium wird vermutlich unausrottbar bleiben. Natürlich erweist sich gerade auch in diesem Kontext die Defizienz eines streng hierarchischen Systems. Das evangeliengemäße Gelingen ist fast ausschließlich vom höchstmöglichen moralischen Ethos der Person an der Spitze des Systems abhängig. Die von KE zurecht geforderte Sensibilisierung muss „top-down“ ansetzen.
Kapitel „10. Theologische Umdenkprozesse gestalten“ (Absätze 89-91 KE)
KE ist der Überzeugung, dass überkommene theologische Denkfiguren den sexuellen Missbrauch von Kindern begünstigen. „Neben dem strikten Verständnis von Kirche als einer hierarchischen Stiftung göttlichen Rechts war dies ein seit der Antike bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sündhaftes Verständnis von Sexualität, dann die in ihrer historischen Entstehung zwar nachvollziehbare, gleichwohl problematische Figur eines character indelebilis, die zwar eine Differenzierung zwischen Amt und der Person des Amtsträgers vorgenommen hatte, sich in der Praxis jedoch als unwirksam erwies sowie eine marianische Vorstellung jungfräulicher Demut, die nicht nur die Amtsträger, sondern die Kirche überhaupt („Braut Christi“) mit dem Ideal der Jungfräulichkeit und Unbeflecktheit auszeichnete“ (KE89). Immerhin wird eingeräumt, dass nicht verschwiegen werden kann „dass die sexuell-triebhafte Struktur, die Menschen wie viele andere tierische Lebewesen, bestimmt, abgründige Seiten kennt“, die offensichtlich nicht nur auf theologische Denkfiguren zurückzuführen sind. Allerdings ist in der Empfehlung eine ekklesiologische Fundamentalkritik am kirchlichen Selbstverständnis erkennbar, die weit mehr als nur reformatorische Züge trägt.
Kapitel „11. Prävention“ (Absätze 92-95 KE)
„Da in Aufarbeitungsberichten, beginnend mit der MHG-Studie von 2018, die Kinderbeichte wiederholt als Anbahnungsort von sexuellem Missbrauch genannt wird, sollte dringend darüber nachgedacht werden, Erstkommunion und Erstbeichte zu entkoppeln. Grundsätzlich sind ohnehin aus einer entwicklungspsychologischen Sicht erhebliche Zweifel daran anzumelden, ob Kinder im Alter von sieben Jahren überhaupt ein Schuld- bzw. Sündenbewusstseins entwickelt haben, um das Bußsakrament nachvollziehen zu können“ (KE94). Die Empfehlung zum Verzicht auf die Beichte im Zusammenhang mit der Erstkommunion geht von „einem Alter von sieben Jahren“ aus und gibt damit eine frappierende Unkenntnis der gängigen Erstkommunionpraxis zu erkennen. Abgesehen von einer sehr seltenen Praxis der „Frühkommunion“ werden Siebenjährige (!) nicht zu Erstkommunionkindern. Zudem ist im Blick auf die in der Kommission vorhandenen „erheblichen Zweifel“ am Schuld- bzw. Sündenbewusstsein anzumerken, dass Kinder im Alter der 3. Grundschulklasse sehr wohl eine Einsicht über unrechtes Tun besitzen, wenn sie etwa ihre Geschwister schlagen oder der Mutter Geld aus dem Portemonnaie entwenden. Die manchmal ins Feld geführte Möglichkeit einer lebenslangen Traumatisierung als Folge der Erstbeichte ist eher ein phantasiertes Problem der Erwachsenen und steht in keinem Verhältnis zu der befreiten, ja fröhlichen Erfahrung von Kindern, wenn sie endlich einmal über belastende Dinge sprechen dürfen, die sie nicht einmal ihren Eltern anvertrauen würden. Aus meiner bis heute aktiven Praxis in der Begegnung mit beichtenden Kindern weiß ich um die Absurdität einer Äußerung wie „Wenn Du heute zur Beichte gehst, bekommst Du den Kopf herunter gemacht!“, die glücklicherweise selbst vom betroffenen Kind nicht wirklich ernst genommen wird. Ich frage mich, ob nicht auch in diesem Kontext die reklamierte Expertise der Kommission nicht überzeugt, da keines ihrer Mitglieder über eine authentische Eigen-Erfahrung mit der Beichte eines Erstkommunionkindes verfügen dürfte. –
Man möge zudem bedenken, dass die im gegebenen Erkenntnisalter eines Kindes einsetzende Erziehung zu einem ehrlichen Umgang mit begangenem Unrecht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein kann. Ein Unschuldswahn, wie er zunehmend gepflegt wird, in dem sämtliche Missstände auf andere Instanzen verlagert werden und die eigenen Anteile völlig aus dem Blick geraten, besiegelt das Ende zivilisierten Zusammenlebens. Diese größeren Zusammenhänge gilt es zu bedenken.
Auch wenn in verschiedenen diözesanen Auswertungen Fälle von schrecklichen Missbrauchstaten im Zusammenhang mit Kinderbeichten referiert werden, sollten diese nicht extrapoliert werden mit dem Ergebnis, in der Kinderbeichte das präferentielle Einfallstor, den „Anbahnungsort“ zu kindlichem Missbrauch zu statuieren, und hinter den agierenden Priestern sexuelle Unholde zu wittern, die lüstern darauf sinnen, sich durch die Beichte „zur eigenen sexuellen Befriedigung“ (KE5) neue Opfer zu rekrutieren.
Schlussbemerkung
Gemäß dem ausgehandelten Auftrag versteht sich KE als Reformanstoß, und gibt seinen Empfehlungen das Gewicht einer conditio sine qua non für eine Qualifizierung des Priesterpersonals. Das „System Kirche“ wird als extrem risikobehaftet identifiziert und könne nur durch einen grundlegenden „Kulturwandel“ heutigen Maßstäben und Ansprüchen genügen. – Die Analyse externer Fachleute nimmt hierbei erkennbar einen säkularisierenden Standpunkt ein und betrachtet die problematisierte Zielgruppe „Priester“ unter dem ausschließlichen Aspekt einer institutionellen Personalentenwicklung, unter besonderer Berücksichtigung eines in dieser Berufsgruppe tendenziell vorhandenen Missbrauchspotentials. Der aus humanwissenschaftlicher und juristischer Sicht formulierte Qualifikationsanspruch wird dabei extrem hoch angesiedelt, wie ihn ein „normaler“ Mensch mit seinen Stärken und Schwächen kaum erfüllen kann. Gefordert wird gewissermaßen eine elitäre Kaste von Personen, die a priori durch entsprechende Konditionierung in Auswahl, Ausbildung und beruflichem Tun gegen jegliche pädosexuelle Kriminalität immunisiert ist.
Es steht außer Frage, dass jede Form körperlichen und geistlichen Missbrauchs, näherhin von Kindern und Jugendlichen, eine schwerwiegend strafbare Handlung darstellt, die nach den Gesetzen des Rechtsstaates verfolgt und sanktioniert werden muss. Wegschauen ist unterlassene Hilfeleistung, Vertuschen ist kriminelle Komplizenschaft. Vor diesen Maßstäben muss jede priesterliche Existenz bestehen können.
Werden allerdings ausschließlich diese Aspekte fokussiert, mutiert der Beruf des Priesters zu einem seelenlosen Kultbeamten und Funktionär, dem jeglicher Esprit und Charme („Charisma“) abgeht. Er wird, auch und gerade was seine Ausstrahlung angeht, stets mit absolut angezogener Handbremse fahren und zu einer emotionslosen Gestalt, von der man nichts befürchtet – und auch nichts erwartet.
Aus der Begleitung von Mitbrüdern in der Priesterseelsorge, nicht zuletzt aus eigener Erfahrung, ist mir das dünne Eis sehr wohl bewusst, auf dem sich ein Seelsorger in seinem zwischenmenschlichen Engagement bewegt. Alle sogenannten „helfenden Berufe“ kennen das Problem von Nähe und Distanz und leiden in ihrem Gewissen nicht selten an manchen Erfahrungen der Grenzüberschreitung. Was lebenslang eingeübt werden muss ist jedoch nicht die penible Meidung jeglicher Versuchung, sondern die aufrichtige Selbsterkenntnis und Bereitschaft, das eigene Handeln vom Gegenüber her zu denken, gerade auch von den durch eigenes Verhalten ausgelösten Enttäuschungen und Verwundungen.
Dies alles sind, vom Beruf des Priesters her bedacht, vornehmlich spirituelle Qualitäten, die aus ehrlicher Selbstreflexion und der Verantwortung vor der jedem Menschen von Gott geschenkten Würde resultieren. Solches lässt sich nicht antrainieren und durch externe Maßnahmen kontrollieren oder evaluieren. Mir scheint, dass die Empfehlungen der Expertenkommission zweifellos Wichtiges adressieren, aber das Wesentliche des problematisierten Berufs nicht in den Blick bekommen.
Eine von jeglichen menschlichen Fehlern und Verirrungen befreite Kirche war das Ziel der Katharer-Bewegung im Hochmittelalter. In ihrer Weltanschauung und ihrem Streben nach absoluter Reinheit war die Vaterunser-Bitte „Vergib uns unsere Schuld!“ obsolet geworden. Wer aber die riskobefreite Fehlerlosigkeit erzeugen will, verlagert die fortbestehende dunkle Seite menschlicher Existenz in das Unterholz der Verdrängung.
Die christliche Form der Heilung ist dies nicht.
Fußnoten: